Borderline – Leben zwischen Nähe, Schmerz und innerer Zerrissenheit

Ein Einblick aus therapeutischer Sicht

In meiner Arbeit als Coachin und Körpertherapeutin begleite ich Menschen mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen – manche davon tragen eine sehr tiefgreifende Last mit sich: die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie ist nicht nur ein Label oder eine Diagnose – sie ist ein ständiger innerer Ausnahmezustand. Ein täglicher Kampf mit sich selbst, den Gefühlen, der Welt und vor allem den Menschen, die ihnen nahe sind.

Ich schreibe diesen Beitrag aus therapeutischer Sicht – mit dem Wunsch, Verständnis zu schaffen, Einblicke zu geben und vielleicht auch den ein oder anderen Angehörigen aufzufangen, der sich in diesem komplexen und oft schmerzhaften Beziehungsmuster wiederfindet.

Was ist Borderline wirklich?

Borderline – oder genauer: die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs – betrifft nicht „den ganzen Menschen“, sondern einen verletzten Teil von ihm. Es ist ein tief verwurzeltes Muster emotionaler Instabilität, innerer Leere, Angst vor dem Verlassenwerden, impulsivem Verhalten und gleichzeitig einer intensiven Sehnsucht nach Nähe – die dann meist wieder zerstört wird, sobald sie zu nah kommt.

In meiner Praxis begegnen mir Klient:innen, die sich selbst als „zu viel“ empfinden, gleichzeitig aber zutiefst darunter leiden, nicht verstanden zu werden. Menschen, die unermüdlich um Beziehung ringen – und sie doch immer wieder selbst sabotieren.

Der Blick auf Angehörige – wenn Liebe allein nicht reicht

Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die mit jemandem zusammenleben oder in engem Kontakt stehen, der an Borderline leidet. Du gibst alles. Du erklärst, verstehst, stehst wieder auf – immer wieder. Und manchmal glaubst du wirklich, es geschafft zu haben. Es gibt Momente, in denen alles friedlich ist. Vielleicht sogar liebevoll. Du denkst: Jetzt! Jetzt hat sie oder er es verstanden.

Und dann – plötzlich – scheint alles wieder vergessen. Die alten Muster kehren zurück, fast wie ein Rückfall. Die Stimmung kippt, Vorwürfe entstehen aus dem Nichts. Aus einem „Ich liebe dich“ wird ein „Du bist das Problem“. Und du fragst dich: Was ist gerade passiert?

Einige meiner Klient:innen durchlaufen diesen Kreislauf immer wieder – und es ist nicht böswillig. Es ist Teil des inneren Chaos. Sie fühlen sich selbst meist als Opfer, überzeugt davon, dass ihnen übel mitgespielt wird. Dieses Gefühl ist real – für sie. Doch daraus folgt oft ein Verhalten, das für Angehörige extrem verletzend ist: Sie werden benutzt, abgewertet, kontrolliert – ohne dass es der Betroffene merkt.

Ist das Teil der Störung?

Diese scheinbare Selbstwahrnehmungsverzerrung, die Unfähigkeit, wirklich empathisch auf den anderen einzugehen (obwohl sie sich selbst für besonders einfühlsam halten), und die ständigen Perspektivwechsel – all das gehört tatsächlich zum Störungsbild. Die intensive Angst vor dem Verlassenwerden macht es nahezu unmöglich, dauerhaft in emotional ausgeglichenen Beziehungen, welcher Art auch immer, zu leben.

Ein häufiges Muster:
Jemand wird neu kennengelernt – oft voller Euphorie und Idealisierung. „Er ist so toll! Sie versteht mich endlich!“ Doch kaum zeigt dieser Mensch Eigenständigkeit oder andere Sichtweisen, folgt die Abwertung: „Er ist unehrlich. Sie ist toxisch. Die ist nicht in Ordnung.“
Das wiederholt sich immer und immer wieder. Die des Borderliners nahe stehenden Person (Partner, Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn) erkennt das Muster – der Borderline-Betroffene nicht. Und so bleibt am Ende oft nur eines: Isolation. Einsamkeit. Frustration.

Wie Körperarbeit helfen kann

In meiner Begleitung setze ich nicht nur auf Gespräche, sondern unterstütze meine Klient:innen auch mit körperorientierter Arbeit und Massagen. Warum?

Weil bei Borderline das Nervensystem permanent unter Hochspannung steht. Emotionale Reize werden stärker, schneller und unkontrollierter wahrgenommen. Der Körper lebt in einem Zustand der Alarmbereitschaft. Massagen, achtsame Berührung und Körperarbeit können hier helfen, das Nervensystem zu regulieren.

Viele meiner Klient:innen berichten, dass sie durch diese Form der Begleitung:

  • wieder in den Körper zurückfinden, wenn der Kopf überflutet ist

  • Grenzen spüren, die ihnen sonst so schwerfallen

  • Emotionen besser benennen können, weil sie lernen, sie körperlich wahrzunehmen

  • Sicherheit und Vertrauen aufbauen, ohne Worte

Massage ist hier nicht nur „Entspannung“ – sie ist eine Brücke zurück ins Spüren.

Was hilft – und was nicht

Wenn du mit jemandem mit Borderline lebst, möchte ich dir eines sagen: Du bist nicht schuld. Du kannst nichts „richtig“ machen, was nicht vom anderen selbst gewollt ist. Und du darfst deine Grenzen setzen.

Was hilft:

  • Verlässlichkeit, auch wenn der andere instabil ist

  • Ruhiges Verhalten, wenn das Gegenüber laut wird

  • Eigene Unterstützung suchen (z. B. Therapie oder Coaching für Angehörige)

  • Keine Diskussionen mitten im Drama

  • Klares Benennen von Grenzen und Konsequenzen

Was nicht hilft:

  • Ständige Selbstaufgabe

  • Versuche, „zu retten“ oder „zu heilen“

  • Schuldgefühle, wenn du dich distanzierst

  • Ignorieren der eigenen Bedürfnisse

Fazit: Zwischen Hoffnung, Schmerz und Neuanfang

Borderline ist kein „böses“ oder „manipulatives“ Verhalten, wie es bei einem Narzissten der Fall ist. Es ist der Ausdruck einer tiefen Verletzung, die nie wirklich heilen konnte. Die Betroffenen spüren die Welt intensiver, roher – aber auch verzerrt. Ihre Handlungen verletzen, auch wenn sie das nicht wollen. Doch sie können lernen. Sie können sich entwickeln. Nicht allein – aber in Begleitung.

Ich sehe in meiner Arbeit immer wieder: Veränderung ist möglich. Aber nur, wenn die Betroffenen bereit sind, sich ihrer Geschichte und ihren Mustern zu stellen. Und wenn Angehörige aufhören, sich für alles verantwortlich zu fühlen – und anfangen, auf sich selbst zu achten.

Wenn du mehr erfahren oder dich begleiten lassen möchtest – ob als Betroffene:r oder Angehörige:r – bist du herzlich eingeladen, dich bei mir zu melden. Gemeinsam gehen wir den Weg – mit Respekt, Klarheit und einem offenen Herzen.

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